In der Kerntechnik dauert alles immer ein bisschen sehr viel länger. Am 16. April ging der EPR-Block am finnischen Standort Olkiluoto nach dreißig Jahren (zwanzig davon Verzögerungen) ans Netz. Ich habe vor zwei Jahren der Redaktion nassforsch "irgendwas mit Atomkraft" vorgeschlagen, vor über einem Jahr mit Recherchen begonnen und mir dann Zeit gelassen, bis die müßige Diskussion um deutsche Laufzeitverlängerungen vorbei war. Es war mir klar, dass Atomkraft Emotionen kochen lässt. Es war mir nicht klar, wie hoch die Ausschläge auf dem Emotions-Dosimeter werden würden.
Bevor Leute überhaupt mit mir sprachen, verlangten viele ein Gesinnungsbekenntnis: "Auf welcher Seite stehen Sie?" Da diese Frage Leuten offenbar wichtig ist, beantworte ich sie gleich zu Anfang. Ich bin ein großer Fan von Atomkraft. Die Technik ist cool. Ich würde ein Atomkraftwerk auf dem von meinem Fenster aus sichtbaren Hügel begrüßen und würde am liebsten mit atomarer Zerfallswärme mein Haus heizen – eine Idee, die nicht nur mir kam, sondern die in den späten Fünfzigerjahren wohl tatsächlich angedacht (aber meines Wissens nie umgesetzt) wurde. Gleichzeitig bin ich aber Demokrat, sodass ich mich damit zufriedengebe, dass Stromerzeugung aus Kernspaltung in Deutschland vor der Energiekrise keine Mehrheiten mehr fand und ob sie das nach der Energiekrise schafft, halte ich für zweifelhaft. Ein Netz mit Atomstrom als Grundlast müssten wir heute schon für 2100 planen können. Wenn im Jahr 2050 ein Energieministerium plötzlich alles über den Haufen kegelt, weil in Russland ein Reaktor schmilzt, können wir das Geld sinnvoller gleich in Müllheizkraftwerken zu Strom und Fernwärme verbrennen.
Diese Grundeinstellung hat sich in einem Jahr Recherche nicht geändert. Wenn Sie also ad hominem entscheiden wollen statt anhand von Argumenten, ist am Punkt dieses Satzes eine stresssparende Haltestelle. Für den noch weilenden Rest möchte ich versuchen, einige der wichtigsten Aspekte der Atomkraft aus mehreren Richtungen zu beleuchten, am wichtigsten und vernachlässigtsten den der Ökonomie.
Das war die Leseprobe unseres heise-Plus-Artikels "Atomkraft: Weshalb es sich lohnt, über Kernkraft nochmal nachzudenken".
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